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hervor. Da gibt es keinen Ausweg. Zwar gibt es die Flucht in
den Alkohol, aber sie führt nur in noch tiefere, noch schwärze-
re Verzweiflung.
Neulich nachts, in einem Zustand milder Verzweif-
lung, griff ich zu einem Buch, von dem ich dachte, es werde
diese Stimmung vertiefen und mich dadurch herausreißen. Ich
wählte es wegen seines Titels: 9 Der Verzweifelte: von Léon
Bloy. Die erste Seite war die richtige Tonart: die Farbe war
wirklich schwarz, kein Zweifel. Doch sie vertiefte nicht die
Schwärze in meinem Innern. Im Gegenteil, zu meinem Ärger
merkte ich plötzlich, daß ich heiter wurde. Ich schreibe dieses
Phänomen dem Zauber von Bloys Sprache zu; sie war von
üppiger, samtener Struktur, großzügig und erhaben, wie bitter
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und makaber sie auch sein mochte. Sie war so extrem, so gif-
tig, daß sie beinahe unfranzösisch war. Ah, dachte ich, was für
ein Fest! Hier ist tiefes, schweres noir... weide dich daran!
Und ich gab mich dem Buch hin, wie man sich manchmal dem
Kummer hingibt. Diese überladenen Eigenschafts- und Um-
standswörter, diese erschreckend neuen Hauptwörter, diese
Tiraden, diese geätzten Porträts . . . quel soulagement! Es war
wie vor einer Kathedrale, wenn der Leichenzug stehenbleibt
und der ganze Pomp, den die Franzosen bei ihren Begräbnis-
sen so lieben, sich entfaltet. Le désespéré, c'etait bien moi. Un
cadavre rou-lant, oui, et comment! Rien de mignon, rien de
mesquin, rien de menu. Tout était somhre, solennel. Jai assisté
à l enterrement de mon âme, avec tout ce qu'il y avait de vide
et de triste. Je n'avais rien perdu que l illusion de ma souf-
france. On m'avait libéré de mon sort. . . Que de nouveau je
parlais francais, c'était cela qui m avait fait du bien!
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Alles, was in Verbindung mit Frankreich Verzückung in mir
hervorruft, entspringt der Erkenntnis seiner Katholizität. Der
Mensch der protestantischen Welt ist morbid: er ist beklom-
men in seiner Seele. Etwas nagt an ihm, etwas, das ihn freud-
los macht. Sogar Katholiken, die in einer solchen Welt gebo-
ren sind, nehmen die kalte, gehemmte Art ihrer protestanti-
schen Nachbarn an. Der amerikanische Katholik ist vom Ka-
tholiken Frankreichs, Italiens oder Spaniens völlig verschie-
den. In seinem Geist ist nichts Katholisches. Er ist genauso
puritanisch, genauso unduldsam und genauso engherzig wie
der protestantische Amerikaner. Man versuche einmal, sich
einen katholischen amerikanischen Schriftsteller vorzustellen,
der über den Schwung, den Reichtum, die Sinnlichkeit von
Männern wie Claudel und Mauriac verfügte. Es gibt keinen.
Frankreichs Tugend besteht darin, daß es seine Katho-
liken katholisch gemacht hat. Es hat sogar seine Atheisten
katholisch gemacht, und das will viel heißen. Ganz, universell
machend, alles einbegreifend: das ist der ursprüngliche Sinn
von 9 katholisch: . Es ist die Haltung, die der Heiler einnimmt.
Diese umfassendere Bedeutung des Wortes ist etwas, worauf
sich die Franzosen als Volk par excellence verstehen. In einer
katholischen Welt leben die Kleinen und Großen Seite an Sei-
te, ebenso wie die Vernünftigen und die Wahnsinnigen, die
Kranken und die Gesunden, die Starken und die Schwachen.
Nur in einer solchen Welt kann sich wahre Individualität be-
haupten. Man denke nur an die Verschiedenheit der Typen, die
allein schon unter den Schriftstellern Frankreichs herrscht -
heute wie in jeder Epoche der Vergangenheit. Ich kenne
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nichts, was dem gleichkäme. Tatsächlich besteht ein größerer
Unterschied zwischen den einzelnen französischen Schriftstel-
lern, als zwischen einem deutschen und einem französischen.
Man könnte sagen, daß es zwischen Dostojevskij und Proust
mehr Gemeinsames gebe als zwischen Celine und Breton oder
zwischen Gide und Jules Romains. Und doch gibt es einen
Faden, einen zähen und ungebrochenen, der so einmalige
Schriftsteller wie Villon, Abélard, Rabelais, Pascal, Rousseau,
Bossuet, Racine, Baudelaire, Hugo, Balzac, Montaigne,
Lautreamont, Rimbaud, Nerval, Dujardin, Mallarmé, Proust,
Mauriac, Verlaine, Jules Laforgue, Roger Martin du Card,
Duhamel, Breton, Gide, Stendhal, Voltaire, Sade, Léon Dau-
det, Paul Eluard, Blaise Cendrars, Joseph Delteil, Péguy, Gi-
raudoux, Paul Valery, Francis Jammes, Elie Faure, Céline,
Giono, Francis Carco, Jules Romains, Léon Bloy, Supervielle,
Saint-Exupéry, Jean-Paul Sartre verbindet, um nur einige we-
nige zu nennen.
Die Homogenität französischer Kunst hat ihren Ur-
sprung nicht in der Einförmigkeit der Gedanken oder der Um-
gebung, sondern in der unendlichen Vielfalt des Bodens, des
Klimas, der Landschaft, der Sprache, der Bräuche und des
Blutes. Jede Provinz Frankreichs hat ihren Beitrag zur Schöp-
fung seiner Kultur geleistet.
Was die Franzosen mehr als alles andere verbindet, ist
die Liebe zur Erde. Jakob Wassermann hat in seinem Buch
9 Mein Weg als Deutscher und Jude: auf die Beziehung zwi-
schen dem Stil eines Schriftstellers und der Landschaft, in die
er hineingeboren wurde oder die er sich zur Heimat gewählt
hat, hingewiesen.
Jede Landschaft, schreibt er, die irgendwie ein Teil
unseres Schicksals wird, erzeugt einen bestimmten Rhythmus
in uns, einen Rhythmus des Fühlens und des Denkens, der
meistens unbewußt bleibt und darum nur um so ein-
schneidender wirkt. Es sollte möglich sein, aus dem Satzbau
der Prosa eines Schriftstellers die Landschaft zu erkennen, die
sie verbirgt, wie eine Frucht ihren Kern verbirgt... Die Land-
schaft, in der jemand lebt, gibt nicht nur den Rahmen des Bil-
des; sie durchdringt sein ganzes Wesen und wird ein Teil von
ihm. Das kann natürlich bei Primitiven viel klarer gesehen
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werden als im Umkreis der Zivilisation. Darum spielten Flüs-
se, Wüsten, Oasen und Haine eine so wichtige Rolle bei der
Entstehung von Mythen, die oft nur das Landschaftserlebnis
einer langen Folge von Generationen darstellen . . . Persön-
lichkeit entsteht an der Stelle, wo das innere und das äußere
Landschaftsbild aneinanderstoßen, wo das Mythische und
Dauernde in begrenzte Zeit einströmen. Und jedes literarische
Werk, jede Tat, jede Leistung ist das Ergebnis einer Ver-
schmelzung von Greifbarem und Ungreifbarem, von innerer
Schau und wirklichem Bild, von Idee und der tatsächlichen
Situation, von VorstelI lung und Form. Das äußere Land-
schaftsbild der Welt braucht nicht mehr entdeckt zu werden,
obschon sein Einfluß und seine Wirkung auf die Seele noch
nicht voll erforscht sind. Doch die innere Landschaft des Men-
schen bleibt weithin terra incognita, und wenn es gilt, diese
unbekannte Gegend zu erhellen, dann ist unsere sogenannte
Psychologie nur ein bleiches Lämpchen.
Im Falle eines Schriftstellers wie Alain-Fournier, des Verfas-
sers von 9 Der Große Kamerad: , wird die Genauigkeit von
Wassermanns Beobachtung überzeugend sichtbar. Der Zauber,
den dieses Buch noch immer ausübt, entspringt aus der ge-
glückten Verschmelzung von innerer und äußerer Landschaft.
Die Aura des Wunderbaren, die es umgibt und ihm seinen
Reiz und seine Strenge verleiht, erwächst der Verbindung von
Traum und Wirklichkeit. Die Gegend der Sologne, in der der
Autor geboren wurde und die besten Jahre seiner Jugend ver-
brachte, ist der Schauplatz, durch den er uns wie im Traume
führt. Die Gegend ist bekannt für ihren milden, ausgewogenen
und unaufdringlichen Charakter; es ist eine Gegend, die
«jahrhundertelang humanisiert» wurde, wie es ein französi-
scher Schriftsteller ausdrückt. Wie überaus geeignet daher,
Traum und Sehnsucht zu wecken!
Seit dem Tage seines Erscheinens vielerorts begrüßt, fand
dieser kleine Klassiker hier in Amerika nur ein bescheidenes
Echo. Und doch ist das Buch genau von der Art, die unter
Amerikanern verbreitet werden sollte. Es ist durch und durch
französisch, jedoch auf eine Weise, die Fremde oft nicht
schätzen. In einem Brief an seinen Freund Jacques Rivière,
geschrieben 1906, spricht der Autor über das ästhetische Prob-
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